Fragetechniken
Gut gefragt ist halb gewonnen
In der Schiedsrichterlehrarbeit spielt das »Frage- und Antwortspiel« eine dominierende Rolle.
In der DFB-SR-Zeitung haben die »Regelfragen und Antworten« seit Jahrzehnten ihren festen Platz. Ihr Studium ist eine vorzügliche Vorbereitung auf den jährlichen Leistungstest, und so ist es nicht überraschend, dass sie das größte Leserinteresse finden.
In der Fragetechnik hat es in der Vergangenheit (leider) nur einen Entwicklungssprung gegeben: Das »Multiple-Choice-Verfahren« mit den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten erleichtert sowohl die Selbstkontrolle wie auch die Auswertung der Regeltests mittels Lösungsschüssel oder Lösungsfolien.
Für das LERNEN DURCH FRAGEN ist die Fragetechnik von besonderer Relevanz.
Am wenigsten effizient sind isolierte Fragen.
Beispiele:
1.Ein Angreifer tritt den Ball bei einem indirekten Freistoß direkt in das gegnerische Tor. Spielfortsetzung ? (Abstoß)
2. Beim Strafstoß wird der Ball zurückgespielt. Spielfortsetzung ? (Indirekter Freistoß)
3. Ein Einwurf wird an der falschen Stelle ausgeführt. Spielfortsetzung? (Einwurf für die gegnerische Mannschaft)
Solche unzusammenhängenden Fragen strapazieren das Gedächtnis und der Lernerfolg ist entsprechend gering.
Einen besseren Lernerfolg erzielt man mit verwandten Fragen.
Beispiele:
1. Beim Strafstoß täuscht der Schütze den Torwart in unsportlicher Weise. Der Ball wird neben das Tor getreten. Entscheidung ? (Abstoß)
2. Wie 1., der Torwart kann das Leder jedoch zur Ecke abwehren. Entscheidung ? (Indirekter Freistoß)
3. Wie 1., der Ball prallt vom Torwart zum Strafstoßschützen zurück. Entscheidung ? (indirekter Freistoß am Elfmeterpunkt)
»Fragemeister« kennen die grundsätzlichen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Regeln.
Durch exemplarische Regelfragen lassen sich die Fragemöglichkeiten auf ein erträgliches Maß reduzieren: Nur rund 170 Fragen sind erforderlich, um das Regelwerk abzudecken. Vorteil: Sinn und Geist der Fußballregeln werden erkannt.
Aus einer Frage lassen sich die Antworten von anderen (nicht gestellten) Aufgaben ableiten.
Beispiel:
Ein Spieler verzögert das Spiel, indem er beim Freistoß den Ball blockiert und die Abwehrmauer dirigiert. (Verwarnung wegen der Spielverzögerung).
Fragen, die nicht mehr gestellt werden müssen sind, zum Beispiel: Nach einer Spielunterbrechung tritt ein Spieler den Ball ins Seitenaus / Ein Spieler läuft bei einem Freistoß zu früh aus der Mauer vor und kann den Ball zur Ecke abwehren / Um das Spiel zu verzögern, läuft ein Spieler bei der Ausführung eines Abstoßes mehrere Male an, ohne den Ball zu treten.
Beim Multiple-Choice-Verfahren müssen mindestens zwei Antwortmöglichkeiten vorgeben werden.
Beispiel:
Ein Spieler wirft den Ball beim Einwurf zwei Meter von der Seitenlinie entfernt ein. Die gegnerische Mannschaft gerät sofort in Ballbesitz. Spielfortsetzung ?
a) Einwurf für die gegnerische Mannschaft
b) Wiederholung des Einwurfes
c) Vorteil, weiterspielen lassen
(Richtig ist die Lösung b)
Neben dem Vorteil der schnellen Kontrollmöglichkeiten birgt dieses Verfahren auch Nachteile in sich: Der gedanklichen Kreativität werden durch die Lösungsvorgaben Grenzen gesetzt, weshalb bei Prüfungen von Spielleitern in höheren Klassen das MC-Verfahren kaum verwendet wird. Zudem müssen die Antwortmöglichkeiten dicht beieinander liegen und somit wahrscheinlich sein: Meine 10jährige Tochter hätte in den 70-er Jahren eine SR-Prüfung auch ohne die Teilnahme an einem Lehrgang bestanden, weil sie Lösungsmöglichkeiten ausschließen konnte.
Unverzichtbar ist das Multiple-Choice-Verfahren beim Einsatz von Lernprogramm (zum Beispiel Kontrollfix oder Profax).
Einleitend wurde beklagt, dass bei der Fragetechnik in der Lehrarbeit der Fußballschiedsrichter kaum Fortschritte festzustellen sind. Einmal formulierte Fragen werden immer und immer wieder abgeschrieben. Einfallsreichtum war jedenfalls kaum gefragt.
So ist es nicht überraschend, dass sich auch erfahrene Spielleiter durch neu formulierte Fragen in Bedrängnis bringen lassen. Sie haben es verlernt, ihr Vorstellungsvermögen einzusetzen, wie es das nachstehende Beispiel belegt:
»Standardfrage«: Ein angreifender Spieler dringt beim Strafstoß vorzeitig in den Strafraum ein. Wie soll der Schiedsrichter sich verhalten?
Fehlerquote: 5%
Anders formuliert: Gleichzeitig neben dem Spieler, der sich den Ball zum Strafstoß zurechtlegte, läuft ein Mitspieler des Strafstoßschützen in den Strafraum, um den Torwart zu irritieren. Wie soll der Schiedsrichter sich verhalten?
Fehlerquote: 30%
Lösung für beide Fragen: Die Auswirkung des Schusses abwarten.
Der Grund für die hohe Fehlerquote ist darin zu sehen, dass Assoziationen zur Frage »Was ist zu tun, wenn ein anderer Spieler zum Strafstoß anläuft als derjenige, der sich den Ball zurechtlegte?« zu der irrigen Antwort »Spiel sofort unterbrechen« führen.
Fazit: Neu formulierte Fragen zwingen zum Nachdenken und sichern so einen echten Lernerfolg.
Eine Form der Aufgabenstellung kommt der Realität auf dem Spielfeld näher als die bisher geschilderten Fragesätze, die ja jeweils mit einem Fragezeichen (?) enden. Der Spielleiter hat Situationen zu beurteilen.
Beispiel:
Ein Spieler wechselt an der Seitenlinie innerhalb des Spielfeldes seine Schuhe. Als der Ball in seiner Nähe ins Aus zu rollen droht, hält er das Leder mit dem noch beschuhten Fuß auf.
Statt der Fragestellungen (Wie und wo wird das Spiel fortgesetzt ? Ist eine persönliche Strafe erforderlich? Welche ?) werden Denkanstöße gegeben. Der Prüfling muss nunmehr beweisen, dass er die geschilderte Situation von sich aus beherrscht. Seine Antwort muss dokumentieren, dass
a) das Spielen des Balles ohne Schuh grundsätzlich verboten ist,
b) es sich um ein unsportliches Verhalten handelt (seit 2005 keine Verwarnung mehr),
c) das Spiel deshalb mit einem indirekten Freistoß fortgesetzt wird, und zwar
d) dort, wo die Regelübertretung begangen wurde.
Als zusätzliches Wissen kann er einbringen, dass das Wechseln der Schuhe am Spielfeldrand innerhalb des Spielfeldes nicht verboten ist.
Fazit: Denkanstöße heben das Niveau des Tests beachtlich.
Der Schwierigkeitsgrad der Prüfungsfragen muss natürlich der Leistungsklasse der Schiedsrichter entsprechen. Schiedsrichteranwärtern und Spielleitern auf unterster Ebene wird man in der Regel einsträngige Fragen stellen:
Ein Abwehrspieler verhindert durch ein absichtliches Handspiel ein sicheres Tor. (Feldverweis).
Qualifizierteren Referees sollten zwei- oder mehrsträngige Fragen vorgesetzt werden:
Ein vorübergehend verletzt ausgeschiedener Spieler läuft ohne Zustimmung des Schiedsrichters auf das Spielfeld und begeht sogleich ein verwarnungswürdiges Foulspiel.
Der Schiedsrichter muss wissen, dass
a) das Betreten des Spielfeldes ohne Zustimmung des Spielleiters eine Verwarnung bedingt und
b) dass die persönlichen Strafen addiert werden müssen (Gelb und Gelb/Rot).
Ein Beispiel für eine mehrsträngige Frage:
Ein Auswechselspieler läuft unangemeldet auf das Spielfeld und verhindert durch ein Handspiel einen schnellen Konterangriff des Gegners.
Zur richtigen Beantwortung dieser Frage wird der Prüfling 5-fach (!) getestet:
Er muss wissen, dass
a) ein Auswechselspieler persönlich belangt werden kann,
b) Spieler auf der Reservebank nicht zum Spiel gehören und in diesem Fall trotzdem eine Spielstrafe verursachen, nämlich den indirekten Freistoß,
c) das unberechtigte Betreten des Spielfeldes mit einer Verwarnung geahndet wird,
d) das Handspiel als unsportlich zu werten ist und
e) die persönlichen Strafen addiert werden (Gelb, Gelb/Rot;indirekter Freistoß).
Zu den Bewertungsmaßstäben bei mehrsträngigen Fragen muss angemerkt werden, dass von hochrangigen Schiedsrichtern vollkommen fehlerfreie Lösungen erwartet werden kann, während bei Spielleitern im »mittleren Bereich« mit Teilabzügen (halbe Fehler) gearbeitet werden sollte. Bei der Auswertung kann man der komplizierten Bruchrechnung entgehen, wenn die Teilantworten mit vollen Punkten bewertet werden:
Nach der Behandlung einer Verletzung läuft ein bereits verwarnter Spieler ohne Zustimmung des Schiedsrichters auf das Spielfeld und lenkt den Ball sofort über die Seitenlinie ins Aus, bevor der Spielleiter das Spiel unterbrechen kann. (2 Punkte für die richtige persönliche Strafe (gelb/rot), je einen Punkt für die richtige Spielfortsetzung (ind. Freistoß) und gegebenenfalls 1 Punkt für den richtigen Ort der Spielfortsetzung (wo Ball im Moment des Betreten des Spielfeldes).
Mit mehrsträngigen Fragen lässt sich manchmal sogar ein ganzer Lehrabend gestalten, wenn versucht wird, im Gespräch der Lösung gemeinsam auf der Spur zu kommen. Dazu zwei Beispiele:
Bei wie vielen der nachstehenden Vorgänge muss der Schiedsrichterassistent dem Spielleiter ein Fahnenzeichen geben ?
- Der Torwart trägt den Ball länger als 6 Sekunden
- Passive Abseitsstellung
- Falscher Einwurf
- Zufallbringen des Gegners in seiner Nähe
a = 0, b = 1, c = 2, d = 3, e = 4 *
* richtig ist a
Wie viele Möglichkeiten hat ein Spieler, sich im Rahmen einer Freistoßentscheidung Verwarnungen einzuhandeln?
a = 1, b = 2, c = 3, d = 4, e = 5, f = 6, g = 7 **
** richtig ist g (Wegtreten des Balles nach dem Pfiff / Wegtreten des zum Freistoß bereitliegenden Balles / Ausführen des Freistoßes, obwohl der Spielleiter zum Warten aufgefordert har / Weigerung, auf die vorgeschriebene Distanz zurückzugehen / Blockieren des Balles, um die Mauer zu dirigieren / Freistoß verzögern, indem der Raum zwischen dem bereitliegenden Ball und der Mauer noch einmal durchquert wird / zu frühes Vorlaufen aus der Mauer, sofern eine Wiederholung des Freistoßes angeordnet werden muss)
Wichtig ist, dass den Schiedsrichtern zunächst ausreichend Zeit zum Nachdenken und zur Diskussion mit den Nachbarn eingeräumt wird; denn nur dann werden sich viele Kameraden (lebhaft) an der Problemlösung beteiligen.
Eine »Steigerungsstufe« zu den mehrsträngigen Fragen stellen die eingekleidete Aufgaben dar (Beispiele dafür sind die »Stories« sowie unter »Nachgedacht« die Ausführungen zum »Kardinalfehler der SR«) Sie sind für die Lernenden wegen ihres Rätselcharakters von besonderem Reiz und für die Lehrarbeit sehr effizient, weil sie zur regelkundlichen Diskussionen anregen.
Das Gegenteil zu den eingekleideten Aufgaben sind Fragestellungen in tabellarischer Form.
Regelverstoß | Direkter Freistoß | Indirekter Freistoß |
---|---|---|
Absichtliches Handspiel | X | |
Schlagen des Gegners | X | |
Dem Torwart den Ball aus den Händen köpfen | X | |
Den Torwart anspringen | X | |
Versuch, den Gegner zu Fall zu bringen | X | |
Versuch, dem Mitspieler eine Ohrfeige zu verpassen | X |
Eine solche Lernzielkontrolle kostet wenig Zeit und lässt sich mit einer Kontrollfolie schnell auswerten. Sie dient vornehmlich der Wiederholung von Regelwissen und hat den Vorteil, für Übersichtlichkeit im Kopf des Schiedsrichters zu sorgen. (siehe auch Regeltest 3 = Aufgaben der Schiedsrichterassistenten).
Der Nachteil ist das beschränkte Denken in »Schlagwörtern«. Diesem Übel lässt sich allerdings leicht abhelfen, indem man den Teufel mit dem Belzebub austreibt: Mit Fangfragen lässt sich die Denkmaschine wieder in Gang setzen.
Regelverstöße während des laufenden Spiels | Direkter Freistoss | Indirekter Freistoß | Weiterspielen |
---|---|---|---|
1. Gegner beim Grätschen verletzen | |||
2. Halten des Gegners | |||
3. Den Torwart behindern, den Ball abzuschlagen | |||
4. Gegner durch Rempeln zu Fall bringen | |||
5. Heftiges Anwerfen des Balles | |||
6. Versuchtes Treten des Gegners | |||
7. Sperren des Balles | |||
8. Einem Mitspieler eine Ohrfeige erteilen | |||
9. Gestrecktes Bein |
....kann beliebig verlängert werden.
Lösung: Direkt: 1,2,5,6 Indirekt: 3,8 Weiterspielen: 4,7,9
Bei diesem »Test«, der versteckt der Wiederholung der Regel 12 dient, kann man ziemlich risikolos kleine Preise für fehlerfreie Arbeitsblätter aussetzen. Sichere Fehlerquellen sind die Fragen 4, 7 und 9:
(4): Rempeln des Gegners ist in der Regel ausdrücklich erlaubt, und wenn dieser dem nicht entgegenzusetzen hat, ist das sein persönliches Problem. Wir bestrafen ja auch keinen Spieler, der dem Gegner davonläuft.
(7): Verboten ist das Sperren des Gegners, ohne selbst den Ball spielen zu können.
(9): Das Spielen des Balles mit gestrecktem Bein ist nicht strafbar, der Schiedsrichter wird das Spiel nur unterbrechen, wenn das Bein sich zum Körper des Gegners hin bewegt und diesen gefährde.
Die ausführliche Besprechung* der Fragen seht im Mittelpunkt der Lehrveranstaltung. Um den Spannungsbogen zu erhalten, ist die wiederholte Zwischenfrage, wer den Test bisher fehlerfrei absolviert hat, durchaus angebracht.
* Die ausführliche Erörterung von Regelverstößen (Mikroregelkunde) kommt in unseren Lehrveranstaltungen viel zu kurz. Beispiele dafür sind in dieser Homepage unter REGELKUNDE zum Thema "GRÄTSCHEN" sowie unter NACHGEDACHT zum Thema "EIN KARDINALFEHLER" zu finden.
Zum Schluss ein vielleicht unnötiger Hinweis: Fangfragen sind nur als »Spaßmacher« in der Lehrarbeit zulässig, bei Leistungsnachweisen ist ihr Einsatz verpönt.